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Glasfenster

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Kirchenfenster

Kaum einer, der den sonntäglichen Gottesdienst besucht, nimmt sie eigentlich so richtig wahr: die Glasmalereien in den acht Fenstern mit jeweils zwei Rundbogenfeldern im Schiff der evangelischen Kirche in Harxheim. Und sie sollten viel mehr Beachtung finden! Helfen sie doch mit, durch die Leuchtkraft und Farbigkeit ihrer Themen die Kirche als Ort der Sammlung deutlicher zu erleben. Allerdings haben sie etwas Dauerhaftes an sich und widersetzen sich dem schnellen Konsum.

Der Künstler, der die Glasfenster in den Jahren 1977 und 1978 dank großherziger Stifter geschaffen hat, ist hierzulande kein Unbekannter. Es ist Gustel Stein, der in Mainz lebte (gest. 18.02.2010) und insbesondere im rheinhessischen Raum viele Kirchen und Friedhofskapellen (zum Teil auch die Friedhofskapelle in Harxheim) mit seiner Glaskunst ausge-schmückt hat.
Gustel Stein war es seinerzeit in lebhaftem und fruchtbaren Zusammenwirken mit dem damaligen Gemeindepfarrer Dr. Georg Wild vergönnt, eine Rundumverglasung im Kirchenschiff vornehmen zu können.
Das Bildprogramm wurde – vom Eingangsportal her gesehen – für die jeweils links und rechts befindlichen Bogenfenster mit den theologischen Themen „Gesetz“, „Menschwerdung und Wiedergeburt“, „Gnade“ und „die Sakramente“ umrissen. Gustel Stein hat wegen der relativ kleinen Fenstermaße und des ungünstigen äußeren Lichteinfalls eine hohe Leuchtkraft der Farbfelder zu erreichen gesucht. Sie lebt von den klassischen Paarungen Rot - Gelb gegen Blau - Grün. Gleichsam verbindende, harmonisierende Funktion wird einer breiten Variationspalette von Braun zugewiesen.

Zunächst ein paar Worte, wie die Glasfenster zustande gekommen sind. Dabei ist es wichtig zu wissen, dass sich wegen der widerspenstigen und komplizierten Materialien, die zur Entstehung der Glasbilder erforderlich sind, nicht alle theologischen Vorstellungen auch künstlerisch verwirklichen lassen. (Es war dann auch tatsächlich so, dass sich der damalige Gemeindepfarrer Dr. Wild mit dem Künstler Stein in langen Diskussionen förmlich „zusammenraufen“ mussten, bis eine erste Ideenskizze gelang.) Dieser Skizze folgt dann ein möglichst maßstabgerechter farbiger Entwurf, über den entschieden werden muss, ob er dem theologisch-künstlerischen Plan genügt. Falls ja, stellt der Glasmaler einen Karton im Maßstab 1:1 her. In dieser Großzeichnung werden die Ziffern der Farbgläser eingetragen, die dem Nummernsystem der ausführenden Glaswerkstatt entsprechen (bei den harxheimer Glasfenstern war dies eine Firma Robert Münch in Groß-Umstadt). Sind die einzelnen Gläser zum Gesamtbild zusammengelegt , kann der Künstler an die Überarbeitung gehen, Gläser austauschen, sie auch partiell bemalen und abschattieren, um beispielsweise eine bessere plastische Wirkung zu erzielen. Schließlich werden die bisher noch unverbundenen Scheiben verbleit und das Fenster kann eingebaut werden.

Bevor wir auf die einzelnen Fenster näher eingehen sei mit ein paar Worten die Person des Künstlers skizziert, dem wir den glasmalerischen Reichtum unserer Kirche verdanken.
Gustel Stein wurde 1922 in St. Goarshausen geboren. Er hat bei seinem Vater, der ihm auch später noch ein hilfreicher Ratgeber war, das Malerhandwerk gelernt, bevor er sich dem bildnerischen Studium widmete. Wie jeder Künstler profitierte er von Kunstreisen. So bereiste Gustel Stein Frankreich, die Alpen und Italien. Kein Wunder, dass dem späteren Glaskünstler, aber auch dem Tafelbildner beispielsweise die Kathedrale von Chartres mit ihren überirdischen Glasfenstern als namhaftes Vorbild diente.
Nach anfänglicher Zurückhaltung in der Farbgebung des Glases wich diese Beschränkung nach und nach einer Intensivierung der Farbigkeit, die wir ja auch in Harxheim feststellen können. Aber nicht nur hier, sondern auch vergleichsweise in der Gesamtverglasung von St. Martin in Oestrich (1959-71), an den Querschiff-Fenstern der Kirche St. Stephan in Mainz-Gonsenheim (um 1966) und den beiden großen Fenstern im Westchor der Katharinenkirche in Oppenheim (das Christusfenster links und das Heilig-Geist-Fenster rechts vom Mittelfenster (um 1978).
Das Werk ist umfangreich: im ersten Band der 1995/96 erschienenen Werkmonografie werden 46 Werke der Glasbildkunst von Gustel Stein an öffentlichen sakralen und profanen Gebäuden aufgeführt.
Gustel Stein hat sich dabei immer für die figürliche Darstellung sakraler Bildinhalte entschieden. Er sagt, er habe Bilder schaffen wollen, mit denen der gläubige Christ etwas anfangen kann.  

Gesetz

Wir wenden uns zuerst den beiden sich gegenüberstehenden Doppelfenstern zu, die uns als erste begegnen, wenn wir in die Kirche eintreten.
Beide Doppelfenster stehen unter der Thematik „Gesetz“.
Auf dem linken Doppelfenster sehen wir im linken Rundbogenfeld, wie Jakob mit dem Engel ringt. Dazu heißt es in 1. Mose 32, 23-27:
Und Jakob stand auf in der Nacht und nahm seine beiden Frauen und die beiden Mägde und seine elf Söhne und zog an die Furt des Jabbok, nahm sie und führte sie über das Wasser, so dass hinüberkam, was er hatte, und blieb allein zurück.
Da rang ein Mann mit ihm, bis die Morgenröte anbrach. Und als er sah, dass er ihn nicht übermochte, schlug er ihn auf das Gelenk seiner Hüfte, und das Gelenk der Hüfte Jakobs wurde über dem Ringen mit ihm verrenkt. Und er sprach: Lass mich gehen, denn die Morgenröte bricht an. Aber Jakob antwortete: Ich lasse dich nicht, du segnest mich denn.
Rechts daneben bringt Mose die Gebote. Wie es in 2. Mose 34, 29 so beschrieben wird:
Als nun Mose vom Berg Sinai herabstieg, hatte er die zwei Tafeln des Gesetzes in seiner Hand und wusste nicht, dass die Haut seines Angesichts glänzte, weil er mit Gott geredet hatte.

Auf dem gegenüberstehenden Doppelfenster wird im linken Rundbogen die Opferung Isaaks geschildert. Das erste Buch Mose 22, 1-2 + 9-13 berichten hierzu:
Nach diesen Geschichten versuchte Gott Abraham und sprach zu ihm: Abraham! Und er antwortete: Hier bin ich. Und er sprach: Nimm Isaak, deinen einzigen Sohn, den du lieb hast, und geh hin in das Land Morija und opfere ihn dort zum Brandopfer auf einem Berge, den ich dir sagen werde...
Und als sie an die Stätte kamen, die ihm Gott gesagt hatte, baute Abraham dort einen Altar und legte das Holz darauf und band seinen Sohn Isaak, legte ihn auf den Altar oben auf das Holz und reckte seine Hand aus und fasste das Messer, dass er seinen Sohn schlachtete.
Da rief ihn der Engel des HERRN vom Himmel und sprach: Abraham! Abraham! Er antwortete: Hier bin ich. Er sprach: Lege deine Hand nicht an den Knaben und tu ihm nichts; denn nun weiß ich, dass du Gott fürchtest und hast deines einzigen Sohnes nicht verschont um meinetwillen.
Da hob Abraham seine Augen auf und sah einen Widder hinter sich in der Hecke mit seinen Hörnern hängen und ging hin und nahm den Widder und opferte ihn zum Brandopfer an seines Sohnes Statt.
Gleich daneben bringt Noah gemäß der Überlieferung in 1. Mose 8, 20-22 und 9, 12+13 Gott sein Opfer dar:
Noah aber baute dem HERRN einen Altar und nahm von allem reinen Vieh und von allen reinen Vögeln und opferte Brandopfer auf dem Altar. Und der HERR roch den lieblichen Geruch und sprach in seinem Herzen: Ich will hinfort nicht mehr die Erde verfluchen um der Menschen willen; denn das Dichten und Trachten des menschlichen Herzens ist böse von Jugend auf. Und ich will hinfort nicht mehr schlagen alles, was da lebt, wie ich getan habe. Solange die Erde steht, soll nicht aufhören Saat und Ernte, Frost und Hitze, Sommer und Winter, Tag und Nacht.
Und Gott sprach: Das ist das Zeichen des Bundes, den ich geschlossen habe zwischen mir und euch und allem lebendigen Getier bei euch auf ewig: Meinen Bogen habe ich in die Wolken gesetzt; der soll das Zeichen sein des Bundes zwischen mir und der Erde.

Menschwerdung und Wiedergeburt

Das zweite Doppelfensterpaar, dem wir uns nunmehr zuwenden, beschäftigt sich mit „Menschwerdung und Wiedergeburt“ (Jesu Geburt und Wirksamkeit des Geistes).
Bei den beiden Doppelfenstern, die wir besprechen wollen, bedarf es nicht vieler Worte. Sie erschließen sich dem bibelkundigen Gottesdienstbesucher von selbst.
Auf dem linken Doppelfenster (dem zweiten in Richtung zum Chor gesehen) werden uns die Geburt Jesu und die Heiligen Drei Könige gezeigt. Bei Lukas 2, 7 heißt es:
Und Maria gebar ihren ersten Sohn und wickelte ihn in Windeln und legte ihn in eine Krippe; denn sie hatten sonst keinen Raum in der Herberge.
Und weiter bei Matthäus 2, 10-11:
Als die Weisen aus dem Morgenland den Stern sahen, wurden sie hoch erfreut und gingen in das Haus und fanden das Kindlein mit Maria, seiner Mutter, und fielen nieder [Der Künstler zeigt die Weisen allerdings in aufrechter Haltung.] und beteten es an und taten ihre Schätze auf und schenkten ihm Gold, Weihrauch und Myrrhe.

Auf dem rechten Doppelfenster sehen wir links Jesus und Nikodemus und rechts davon Jesus und die Samariterin.
Im Nikodemus-Fenster wird die nächtliche Szene durch die Mondsichel versinnbildlicht; auf dem Samariterin-Fenster der helle Tag durch die Sonnenstrahlen.
Die Geschichte von Jesus und Nikodemus wird bei Johannes 3, 1-21 erzählt. Hier ein Ausschnitt:
... Nikodemus kam zu Jesus bei Nacht und sprach zu ihm: Meister, wir wissen, du bist ein Lehrer, von Gott gekommen; denn niemand kann die Zeichen tun, die du tust, es sei denn Gott mit ihm. Jesus antwortete und sprach zu ihm: Wahrlich, wahrlich, ich sage dir: Es sei denn, dass jemand von neuem geboren werde, so kann er das Reich Gottes nicht sehen...
Der Geschichte von Jesus und der Samariterin wird ein längerer Abschnitt bei Johannes 4, 1-42 gewidmet. Auch hiervon ein Ausschnitt:
Da kam Jesus in eine Stadt Samariens, die heißt Sychar... Es war aber dort Jakobs Brunnen... Da kommt eine Frau aus Samarien, um Wasser zu schöpfen. Jesus spricht zu ihr: Gib mir zu trinken!... Wer von diesem Wasser trinkt, den wird wieder dürsten; wer aber von dem Wasser trinken wird, das ich ihm gebe, den wird in Ewigkeit nicht dürsten, sondern das Wasser, das ich ihm geben werde, das wird in ihm eine Quelle des Wassers werden, das in das ewige Leben quillt!...

Gnade

In der Betrachtung der Glasfenster erreichen wir nun gleichsam die dritte Station, wenn wir die Kirche betreten haben: in der dritten Reihe das Thema „Gnade“

Auf dem linken Doppelfenster (dem dritten in Richtung zum Chor gesehen) wird im linken Fensterbogen dem Missionsbefehl und im rechten dem Kämmerer und Philippus bildnerische Gestalt verliehen. Zum Missionsbefehl heißt es bei Matthäus 28, 16-20 folgendermaßen:
Aber die elf Jünger gingen nach Galiläa auf den Berg, wohin Jesus sie beschieden hatte. Und als sie ihn sahen, fielen sie vor ihm nieder; einige aber zweifelten.
[Der Künstler zeigt uns nur 7 Jünger; die zweifelnden Jünger hat er ausgelassen.]
Und Jesus trat herzu und sprach zu ihnen: Mir ist gegeben alle Gewalt im Himmel und auf Erden. Darum gehet hin und machet zu Jüngern alle Völker: Taufet sie auf den Namen des Vaters und des Sohnes und des heiligen Geistes und lehret sie halten alles, was ich euch befohlen habe. Und siehe, ich bin bei euch alle Tage bis an der Welt Ende.
Dem Kämmerer aus Äthiopien widmet die Apostelgeschichte des Lukas im Kapitel 8, 26-40 eine längere Passage. Hier nur soviel:
Aber der Engel des Herrn redete zu Philippus und sprach: Steh auf und geh nach Süden auf die Straße, die von Jerusalem nach Gaza hinabführt und öde ist. ... Und siehe, ein Mann aus Äthiopien, ein Kämmerer und Mächtiger am Hof der Kandake, der Königin von Äthiopien, welcher ihren ganzen Schatz verwaltete, der war nach Jerusalem gekommen, um anzubeten. Nun zog er wieder heim und saß auf seinem Wagen und las den Propheten Jesaja. ... Da lief Philippus hin und hörte, dass er den Propheten Jesaja las, und fragte: Verstehst du auch, was du liest?... Philippus aber tat seinen Mund auf und fing mit diesem Wort der Schrift an und predigte ihm das Evangelium von Jesus. Und als sie auf der Straße dahinfuhren, kamen sie an ein Wasser. Da sprach der Kämmerer: Siehe, da ist Wasser; was hindert's, dass ich mich taufen lasse? Und er ließ den Wagen halten, und beide stiegen in das Wasser hinab, Philippus und der Kämmerer, und er taufte ihn. ...
[Zur szenischen Illustration fügt der Künstler einen Mohren mit weißem Badetuch hinzu.]

Auf dem Doppelfenster gegenüber nehmen wir im linken Bogen das Gleichnis vom verlorenen Sohn und auf dem rechten Bogen die Geschichte von Jesus und der Ehebrecherin wahr.
Im Gleichnis vom verlorenen Sohn zeigt uns der Künstler den liebenden Vater, der den zerknirschten Sohn in seinen weiten Umhang einhüllt. Bei Lukas 15, 11-32 heißt es auszugsweise:
... Und der Sohn machte sich auf und kam zu seinem Vater ... und sprach zu ihm: Vater, ich habe gesündigt gegen den Himmel und vor dir; ich bin hinfort nicht mehr wert, dass ich dein Sohn heiße. Aber der Vater sprach zu seinen Knechten: ... lasst uns essen und fröhlich sein! Denn dieser mein Sohn war tot und ist wieder lebendig geworden; er war verloren und ist gefunden worden. ...
Die Geschichte von Jesus und der Ehebrecherin erzählt Johannes im 8. Kapitel 1-11. Der Künstler hüllt Jesus in himmlisches Blau ein und versieht ihn mit einer Glorie, während die Sünderin demütig ihre rechte Hand an ihre rechte Brust legt.
...Aber die Schriftgelehrten und Pharisäer brachten eine Frau zu Jesus, beim Ehebruch ergriffen, und stellten sie in die Mitte und sprachen zu ihm: Meister, diese Frau ist auf frischer Tat beim Ehebruch ergriffen worden. Mose aber hat uns im Gesetz geboten, solche Frauen zu steinigen. Was sagst du? ... Jesus sprach zu ihnen: Wer unter euch ohne Sünde ist, der werfe den ersten Stein auf sie.

Die Sakramente

Wir schreiten nunmehr beherzt zum letzten Glaswunder, das uns der Künstler Gustel Stein geschenkt hat. Und in diesem Schreiten nähern wir uns den beiden Orten, an denen sich gleichnishaft aber auch tatsächlich der christliche Glaube ereignet. Gemeint sind der Taufstein und der Altar, um den herum die Glaubenden in Gemeinschaft das Abendmahl empfangen.

Mit den beiden Doppelfenstern, mit denen, vom Portal der Kirche herkommend, für uns das Bilderprogramm eigentlich abgeschlossen ist, war für den Glaskünstler Gustel Stein aber gerade nicht der Abschluss erreicht, sondern es war der Anfang seines gestalterischen Unternehmens.
Damals (1977) waren sich Pfarrer Dr. Wild und Künstler Gustel Stein einig, dass die beiden Sakramente Taufe und Abendmahl das Herzstück evangelischen Glaubens sind und dass gerade mit ihrer bildnerischen Gestaltung begonnen werden müsse, bevor die anderen Themenkreise („Das Gesetz“, „Menschwerdung und Wiedergeburt“, „Gnade“) eine entsprechende Umsetzung in die Glaskunst erführen.
Während der Künstler Gustel Stein das linke Doppelfenster noch traditionell in zwei voneinander getrennte Rundbögen aufteilt, benutzt er das gegenüberstehende Doppelfenster zu einer einheitlichen, geschlossenen Thematisierung, dem Abendmahl.

Das „Tauffenster“ zeigt uns zunächst im linken Bogen das Zeugnis des Täufers Johannes (Johannes trägt ein Gewand aus Kamelhaaren) vom Lamm Gottes. Hiervon gibt uns das Johannesevangelium im 1. Kapitel, Vers 29 folgenden kurzen Bericht:
Am nächsten Tag sieht Johannes, dass Jesus zu ihm kommt, und spricht: Siehe, das ist Gottes Lamm, das der Welt Sünde trägt!
Die Hindeutung des Johannes auf den etwas erhöht stehenden Jesus, dessen Kopf mit einer Gloriole versehen ist, lässt mit dem im oberen Bogenfeld dargestellten Lamm das stellvertretende Leiden und die Herrlichkeit des Knechtes Gottes erkennen, wie sie der Prophet Jesaja (Kapitel 53, 7) verkündet hat:
Als er gemartert ward, litt er doch willig und tat seinen Mund nicht auf wie ein Lamm, das zur Schlachtbank geführt wird; und wie ein Schaf, das verstummt vor seinem Scherer, tat er seinen Mund nicht auf.
Das eigentliche in Verbindung mit dem Taufstein stehende Geschehnis wird im anschließenden Rundbogenfenster bildnerisch umschrieben: Jesu Taufe. Jesus - im Jordanwasser stehend - betend Johannes tauft ihn mit Wasser. Der Evangelist Johannes beschreibt dieses besondere Ereignis in Kapitel 1, 32-34 wie folgt:
Ich [Johannes] sah, dass der Geist herabfuhr wie eine Taube vom Himmel und blieb auf ihm. Und ich erkannte ihn nicht. Aber der mich sandte, zu taufen mit Wasser, der sprach zu mir: Auf wen du siehst den Geist herabfahren und auf ihm bleiben, der ist's, der mit dem heiligen Geist tauft. Und ich habe es gesehen und bezeugt: Dieser ist Gottes Sohn.
Martin Luther hat sich im vierten Hauptstück seines kleinen Katechismus aus dem Jahre 1529 sehr intensiv mit dem Sakrament der Heiligen Taufe beschäftigt. Er hat u.a. die Frage gestellt: Was bedeutet solch Wassertaufen? In seiner wie immer plastischen und anschaulichen Wortwahl gibt er die Antwort: Es bedeutet, dass der alte Adam in uns durch tägliche Reue und Buße soll ersäuft werden und sterben mit allen Sünden und bösen Lüsten; und wiederum täglich herauskommen und auferstehen ein neuer Mensch, der in Gerechtigkeit und Reinheit vor Gott ewiglich lebe.

Blicken wir nun hinüber auf das große Abendmahlfenster, so wird uns sofort bewusst, dass der Künstler Gustel Stein, indem er hier das gesamte Doppelfenster für seine Arbeit in Anspruch nimmt, damit auch die große Bedeutung dieses sakramentalen Ereignisses kundtun möchte.
Was wir evangelischen Christen als Abendmahl feiern, geht zurück auf das letzte Mahl Jesu mit seinen Jüngern. Das Fenster zeigt die vertrauensvolle und innige Mahlgemeinschaft Jesu, wie sie übereinstimmend von den Evangelisten Matthäus, Markus und Lukas erzählt wird. Wir greifen zu dem Evangelisten Matthäus (Kapitel 26, 26+27):
Als sie aber aßen, nahm Jesus das Brot, dankte und brach's und gab's den Jüngern und sprach: Nehmet, esset; das ist mein Leib. Und er nahm den Kelch und dankte, gab ihnen den und sprach: Trinket alle daraus; das ist mein Blut des Bundes, das vergossen wird für viele zur Vergebung der Sünden.
Auch bei der Bildbetrachtung des Abendmahls ist es von Nutzen nachzulesen, wie Martin Luther im fünften Hauptteil seines kleinen Katechismus das Sakrament des Altars oder das Heilige Abendmahl erläutert. Er fragt, wie kann Essen und Trinken solch große Dinge, nämlich die Vergebung der Sünden, tun?
Er antwortet: Essen und Trinken tut’s freilich nicht, sondern die Worte die da stehen: Für euch geben und vergossen zur Vergebung der Sünden. Diese Worte sind neben dem leiblichen Essen und Trinken das Hauptstück im Sakrament. Und wer diesen Worten glaubt, der hat, was sie sagen und wie sie lauten, nämlich: Vergebung der Sünden.  

Das Chorfenster

Widmen wir unsere Aufmerksamkeit nun dem großen Chorfenster. Es stammt nicht von Gustel Stein sondern von einem anderen (nicht namentlich bekannten) Künstler.
Wenn es am Vormittag vom Schein der östlichen Sonne durchstrahlt wird, wird, werden unsere Augen beim Eintritt in die Kirche von ihm gleichsam magnetisch hineingezogen, selbst wenn wir die dargestellte Szene übersehen, weil sie uns mehr als geläufig ist

Das Chorfenster erinnert an den Evangelisten Johannes, der davon berichtet, dass bei dem Kreuz Jesu seine Mutter und sein Lieblingsjünger standen (Joh. 19, 25). Die Kreuzigung geschah gegen 12 Uhr mittags. Der Evangelist erzählt von der Finsternis, die über das Land kam, vom Vorhang im Tempel, der in zwei Stücke zerriss. Auch habe die Erde gebebt und die Felsen seien geborsten. Die Gräber hätten sich aufgetan, viele Leiber der entschlafenen Heiligen seien auferstanden und aus ihren Gräbern gegangen (Joh. 19, 51-53). Ein ungeheuerliches und gewaltiges dramatisches Geschehnis.
Unser Chorfenster lässt davon eigenartigerweise nichts spüren. Wer die Karfreitagsszene von Jesu Kreuzigung und Tod kennt, wie sie Matthias Grünewald gestaltet hat, wird die unterschiedliche künstlerische Darstellungsweise staunend zur Kenntnis nehmen. Dort, auf dem Isenheimer Altar folgt der Künstler der Spannung und schicksalsschweren Dramatik des Bibeltextes, während unser Chorfenstermeister eher zu einem Andachtsbild neigt. Er zeichnet die drei „Figuren“ statisch und ohne starke expressive Gemütsbewegung. Das, was uns am Karfreitag schockiert, findet im Chorfenster keine Entsprechung.
Freilich: in Marias Blick auf ihren Sohn liegt Schmerz. Der Lieblingsjünger hält seine Augen geschlossen und wendet seinen Kopf traurig zur Erde. Aber dennoch bleiben ihre Gesten merkwürdig leidenschaftslos; der Betrachter wird kaum aufgerüttelt oder gar verstört.
Und Jesus selbst? Er ist tot. Kaum zu ahnen, dass er vorher geschrieen hat, warum ihn Gott verlassen habe. Sein Gesichtsausdruck vermittelt abgeklärte, ja sanfte Ruhe. Er hat seinen Geist in Gottes Hände befohlen.
Unser Glaskünstler wusste die Emotionen in der Gestaltung der Leidensgeschichte abzumildern. Er zeigt uns, dass Jesus, Maria und der Lieblingsjünger ihr Leid annehmen. Er verzichtet auf die Sichtbarmachung der dramatischen Zeichen des Johannesevangeliums. Und so bleibt auch der Tempelvorhang, der das Chorfenster etwa hälftig teilt, in einer ruhigen Balance; kein Hinweis auf Erdbeben oder geborstene Felsen.
Man könnte fast meinen, unser Künstler habe seinem Chorfenster, wenn es sonnendurchleuchteten Glanz erfährt, vielleicht schon die Morgenröte der Auferstehung erahnen lassen wollen.
Verweilen wir noch kurz bei den Farbgläsern des Chorfensters. Während Gustel Stein in seinen Glasfenstern des Kirchenschiffs ausdrucksstarke Farben gewählt hat, bleibt die Farbgebung des Chorfensters verhalten und unaufdringlich, nahezu verwaschen. Das Blau des Himmelskleides Marias ist vielfach in den Falten abgedunkelt, keineswegs ein strahlendes Ultramarin! Nur im roten, knapp sichtbaren Untergewand schimmert ein helles Karminrot.
Der Lieblingsjünger im fahlbraunen Obergewand mit leichten hellen Facetten an den Überschlagsfalten; darunter ein moosgrünes Unterkleid. Der Vorhang von einem ungenauen Sienabraun, moosgrüne Aufhängung und gedeckte Goldquasten. Der Lendenschurz Jesu eher ins Grau hin denn als weiß. Auffällig allerdings ist der leuchtende rotgestirnte Azurhimmel (Auferstehungshinweis?).
Das Chorfenster wurde vor Jahren gänzlich restauriert. Dabei wurden wichtige Glasmalscheiben ausgetauscht und andere größere Malschichtschäden beseitigt. Am 5. November 2000 feierte die Kirchengemeinde die Einweihung des Glasfensters. Es thematisiert, wie die Beischrift ausweist, das Johanneswort:
Siehe, das ist Gottes Lamm, welches der Welt Sünden trägt (Joh. 1, 29).

Text: G. Hust

 

 

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